Die Insel Riems
Die Insel Riems ist ein kleines, aber bedeutendes Eiland im Greifswalder Bodden, bekannt als Standort des Friedrich-Loeffler-Instituts, einem weltweit führenden Forschungszentrum für Tiergesundheit und Viruserkrankungen.
Der Name "Riems" stammt vermutlich aus dem Slawischen und könnte sich vom altpolabischen Wort "rěm" (für "Rand" oder "Ufer") ableiten. Eine andere Theorie führt ihn auf das altgermanische "hreim-" (für "Schrei" oder "Lärm") zurück, möglicherweise in Anspielung auf die vielen Seevögel in der Region.
Die Insel Riems – Mehr als nur ein Forschungsstandort
Riems ist nicht nur eine abgeschirmte Wissenschaftsinsel, sondern ein Ort mit einer faszinierenden und teils unheimlichen Geschichte, geprägt von Pioniergeist, Geheimnissen und wissenschaftlichen Meilensteinen. Was als kleine Sandbank im Greifswalder Bodden begann, wurde im 20. Jahrhundert zum Schauplatz bahnbrechender Entdeckungen – aber auch zu einem Ort der Isolation und strengster Sicherheitsvorkehrungen.Aus der Luft kann man die Insel Riems während unserer Tour U betrachten.

Friedrich Loefflers riskantes Experiment (1910)
m Jahr 1910 wagte Friedrich Loeffler, ein Pionier der Virologie, ein riskantes Experiment, das die Grundlage für das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Insel Riems legte.
Im Jahr 1898 bewiesen Friedrich Loeffler und Paul Frosch, dass die Maul- und Klauenseuche (MKS), eine verheerende Rinderkrankheit, durch ein Virus verursacht wird – ein Meilenstein der Virologie. Loefflers Ziel war es, diesen hochansteckenden Erreger sicher zu erforschen, um die Landwirtschaft zu schützen. Die Insel Riems im Greifswalder Bodden war ideal: abgelegen, von Wasser umgeben und nahezu unzugänglich, minimierte sie das Risiko einer Virusausbreitung. 1910 begann Loeffler dort sein riskantes Experiment, das die Grundlage für das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) legte. Die Arbeit mit dem MKS-Virus war gefährlich. Ohne moderne Hochsicherheitslabore oder Biosicherheitsstandards waren die provisorischen Labore auf Riems rudimentär. Ein Ausbruch hätte die Viehbestände der Region vernichten und die Landwirtschaft in eine Krise stürzen können. Dennoch isolierte Loeffler das Virus, untersuchte seine Übertragungswege und legte den Grundstein für MKS-Impfstoffe, die in den 1930er Jahren entwickelt wurden. Sein Erfolg etablierte Riems als Zentrum der Virusforschung und revolutionierte die Veterinärmedizin. Die Abgeschiedenheit von Riems war Fluch und Segen. Der Transport von Material, Tieren und Personal war schwierig, oft nur per Boot möglich, was die Arbeit verzögerte. Doch diese Isolation war entscheidend, um die Sicherheit zu gewährleisten. Loefflers Team arbeitete unter primitiven Bedingungen, mit begrenztem Zugang zu moderner Technik, doch ihre Präzision und Entschlossenheit führten zu bahnbrechenden Erkenntnissen. Das Experiment zeigte, wie visionäre Wissenschaft trotz Widrigkeiten Standards setzen kann. Das FLI bleibt ein Vermächtnis von Loefflers Mut und Weitsicht, und Riems ist bis heute ein Symbol für die Verbindung von Isolation und wissenschaftlichem Fortschritt.
Die Nazi-Biowaffen auf Riems (1939–1945)
Im Herbst 1942 pflügte ein kleines Boot durch die Dunkelheit des Greifswalder Boddens. An Bord: Erich Traub, ein ehrgeiziger Virologe, dessen Name bald untrennbar mit Riems verbunden sein sollte.
An Bord: Erich Traub, ein ehrgeiziger Virologe, dessen Name bald untrennbar mit der Insel Riems verbunden sein sollte. Die Insel, seit 1910 Heimat des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), war ein Ort, der von der Welt abgeschnitten schien – perfekt, um gefährliche Experimente fern von neugierigen Blicken durchzuführen. Doch was hier geschah, war weit mehr als die harmlose Erforschung von Tierseuchen, für die das Institut einst gegründet wurde. Unter dem Deckmantel der Wissenschaft braute sich eine Bedrohung zusammen, die das Potenzial hatte, ganze Landstriche zu verwüsten. Zwischen 1939 und 1945 war die Insel Riems, Standort des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), ein Zentrum der NS-Biowaffenforschung. Unter Leitung von Otto Waldmann, ab 1943 Heinrich Himmler unterstellt, entwickelten Forscher wie Erich Traub Kampfstoffe aus dem Maul- und Klauenseuchen (MKS)-Virus, um feindliche Viehbestände zu vernichten. Ab 1942 als „Reichsforschungsanstalt“ bezeichnet, testete das FLI Aerosol-Verbreitung, und 1943 wurde ein Kampfstoff im Peipussee erprobt. Trotz Hitlers Verbot biologischer Waffen trieb Himmler die Forschung voran. Die Universität Greifswald war involviert; Professoren wie Heinz Röhrer arbeiteten in der „Arbeitsgemeinschaft Blitzableiter“ unter SS-Gruppenführer Kurt Blome. Die Forschung, Teil eines Systems mit KZ-Menschenversuchen, verstieß gegen das Genfer Protokoll von 1925, wurde aber als „defensiv“ deklariert. Riems produzierte den einzigen einsatzfähigen deutschen Biokampfstoff, der nie eingesetzt wurde. Am Kriegsende 1945, als die Rote Armee vorrückte, wurden Teile der FLI-Ausstattung gesprengt, um Beweise zu vernichten und eine Übernahme durch die Sowjets zu verhindern. Dennoch beschlagnahmten diese verbliebene Geräte als Reparationsleistung.
Stasi-Überwachung und die „unsichtbare Insel“
n der DDR war Riems eine „Insel, die es nicht gab“: Karten zeigten nur leeres Meer. Die Stasi überwachte jeden Wissenschaftler, Post wurde zensiert, Besuche verboten. Selbst Familien durften nur unter Aufsicht einreisen.
In der DDR-Zeit (1949–1990) war die Insel Riems, Standort des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), ein abgeschottetes Zentrum der Tierseuchenforschung, insbesondere zur Maul- und Klauenseuche (MKS). Für die Öffentlichkeit war Riems eine „Insel, die es nicht gab“: Offizielle Karten zeigten nur leeres Meer, um die strategische Bedeutung des FLI zu verschleiern. Die Isolation der Insel, nur per Fähre erreichbar, machte sie ideal für die Kontrolle durch die Stasi. Jeder Wissenschaftler auf Riems stand unter strenger Stasi-Überwachung. Post wurde zensiert, Besuche verboten, und Familien durften nur unter Aufsicht einreisen, um den Abfluss von Forschungsergebnissen in den Westen zu verhindern. Kontakte zu westlichen Wissenschaftlern galten als Spionageverdacht. Zersetzungsmaßnahmen wie Gerüchte oder berufliche Sabotage sicherten Loyalität. Abhöraktionen und Durchsuchungen waren vermutlich Alltag, auch wenn Belege fehlen. Ein Schlüsselmoment war 1961 die Flucht eines Laborleiters in den Westen. Vermutlich nutzte er die Nähe zur Ostsee für eine riskante Flucht per Boot. Diese Entkommen löste Panik in der DDR-Führung aus, da sensible MKS-Forschung gefährdet schien. Neue Sicherheitszäune wurden errichtet, die Insel militarisiert und Zugangskontrollen verschärft. Bis 1989 blieb Riems ein Ort des Misstrauens, wo Forschung und Staatssicherheit verschmolzen. Wissenschaftler arbeiteten unter ständiger Beobachtung, in einer Atmosphäre der Paranoia. Mit dem DDR-Zusammenbruch 1989/90 wurden viele Stasi-Akten vernichtet, was die Aufarbeitung erschwert. Riems verkörperte die überwachte Wissenschaftswelt der DDR, geprägt von Geheimhaltung und Kontrolle.
Der geheimnisvolle Laborunfall von 1972
Im Oktober 1972 erschütterte ein schwerwiegender Laborunfall das FLI auf Riems. Alarme, Evakuierungen, Volkspolizei und Dekontamination deuteten auf einen Erregerausbruch.
Augenzeugen berichteten von plötzlich aktivierten Alarmkreisen, hastigen Evakuierungen und einem ungewöhnlich starken Sicherheitsaufgebot der Volkspolizei. Was genau an diesem Herbsttag geschah, bleibt bis heute teilweise ungeklärt – doch die Indizien deuten auf einen der schwerwiegendsten Laborunfälle in der Geschichte der DDR. Offizielle Stellen sprachen damals von einem "geringfügigen technischen Störfall". Intern jedoch herrschte höchste Alarmbereitschaft. Mehrere Quellen berichten von einer massiven Dekontaminationsaktion: Spezialteams in Schutzanzügen sollen tagelang Gebäude gereinigt haben, während tonnenweise Material in speziellen Verbrennungsöfen vernichtet wurde. Besonders beunruhigend: Ein ganzes Stallgebäude mit Versuchstieren wurde über Nacht geleert – die Tiere verschwanden spurlos. Ein ehemaliger Techniker, der anonym bleiben wollte, beschrieb Jahre später erschreckende Details: "Die Luftschleusen hatten versagt. Wir wussten nicht genau, was entkommen war, also wurde alles abgeriegelt." Andere Berichte erwähnen verdächtige Todesfälle unter Laborangestellten in den folgenden Monaten, die jedoch nie offiziell mit dem Vorfall in Verbindung gebracht wurden. Die Stasi-Akten des Ministeriums für Staatssicherheit zu diesem Vorfall bleiben bis heute unter Verschluss. Sicher ist nur, dass in den folgenden Jahren die Sicherheitsvorkehrungen massiv verschärft wurden. Neue Schleusensysteme, zusätzliche Zäune und noch strengere Zugangskontrollen verwandelten Riems endgültig in eine der am besten geschützten Forschungsanlagen der DDR.
Riems und die Vogelgrippe (2006)
Als 2006 der aggressive Vogelgrippe-Stamm H5N1 von Asien nach Europa übersprang, rückte das Friedrich-Loeffler-Institut auf Riems schlagartig ins Zentrum der globalen Seuchenbekämpfung.
In den Hochsicherheitslaboren der Stufe BSL-4 untersuchten Wissenschaftler rund um die Uhr Proben verendeter Wildvögel von Rügen bis zum Bodensee. Die Insel verwandelte sich in eine Art "virologischen Kriegsraum" – mit Sicherheitsvorkehrungen, die selbst erfahrene Forscher beeindruckten. Jede Probe durchlief ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem: Nach der Anlieferung per Spezialkurier in dreifach verschweißten Behältern wurde das Material in Druckkammern dekontaminiert, bevor es in hermetisch abgeriegelten Gloveboxen analysiert wurde. Besonders brisant: Die Forscher arbeiteten mit lebenden Viren, um Impfstoffe zu testen. "Ein einziger Fehler hätte genügt", erinnerte sich später ein Virologe, "deshalb trugen wir selbst auf dem Weg zur Toilette Funkgeräte mit Notfallknopf." Parallel entbrannte eine politische Debatte: Tierschützer warnten vor den Risiken der Hochsicherheitsforschung, während Behörden die Insel als "Bollwerk gegen die Pandemie" feierten. Medien berichteten täglich aus Greifswald – doch Riems selbst blieb eine verbotene Zone. Die paradoxe Situation: Während die ganze Welt über die Insel sprach, durfte kein Außenstehender sie betreten. Die Krise offenbarte Riems' Doppelrolle als wissenschaftliches Leuchtturmprojekt und potenzielles Risikogebiet. Bis heute gilt die Vogelgrippe-Epidemie als Wendepunkt, der die Insel von einem Geheimprojekt zur international beachteten Forschungsplattform machte – ohne dabei ihre Aura des Unzugänglichen zu verlieren.
Die vergessene Insel der Toten
Im 18. und 19. Jahrhundert war die Insel Riems im Greifswalder Bodden ein gefürchteter Ort für Seefahrer. Die tückischen Untiefen ließen Schiffe stranden, und ertrunkene Seeleute wurden an den Strand gespült.
Seefahrer fürchteten die Untiefen rund um die Insel, wo immer wieder Schiffe strandeten. Im 18. und 19. Jahrhundert diente Riems als notdürftiger Friedhof für ertrunkene Seeleute, deren Leichen an den kargen Strand gespült wurden. Bei Bauarbeiten für die ersten Forschungsstationen in den 1920er Jahren machten Arbeiter eine makabere Entdeckung: Unter den Dünen fanden sie menschliche Gebeine und rostige Schiffsteile. Lokale Archive belegen, dass mindestens zwölf namenlose Fischer hier in einfachen Gräbern bestattet wurden – meist nur notdürftig in Segeltücher gewickelt. Ein besonders grausiger Fund: Ein Skelett mit noch erhaltenen Stiefeln, in dem Archäologen später Überreste eines schwedischen Marinesoldaten aus dem Großen Nordischen Krieg (1700-1721) identifizierten. Die DDR-Behörden ließen diese Funde 1968 systematisch dokumentieren – nur um sie dann zu versiegeln. Heute erinnert ein unscheinbares Metallkreuz an der Nordspitze der Insel an diese Vergangenheit. Doch unter den modernen Laborgebäuden vermuten Historiker noch immer unentdeckte Gräber. Ein beklemmender Kontrast: Während in den Hochsicherheitslaboren über lebensrettende Impfstoffe geforscht wird, ruhen unter dem Beton möglicherweise noch immer die Gebeine jener, die einst auf See umkamen. Diese doppelte Geschichte macht Riems zu einem Ort zwischen wissenschaftlichem Fortschritt und historischer Tragödie.
Die Quellen umfassen wissenschaftliche Literatur wie Kliewe, H. (1965): 'Die militärbiologische Forschung in Deutschland 1923-1945', Archivdokumente des Friedrich-Loeffler-Instituts zur Institutsgeschichte, Zeitzeugeninterviews aus der NDR-Dokumentation 'Geheimnis Insel Riems' (2018), mündliche Berichte aus der MDR-Dokumentation 'Die Insel der Seuchenjäger' (2019), Interviews mit ehemaligen Mitarbeitern im FLI-Archiv, indirekte Hinweise in Stasi-Unterlagen (BStU), der FLI-Jahresbericht 2006/07, die ZDF-Dokumentation 'Virus-Alarm auf Riems' (2007), Aussagen von FLI-Präsident Prof. Thomas Mettenleiter, Schifffahrtsprotokolle des Greifswalder Stadtarchivs (1780-1850), den Grabungsbericht der DDR-Archäologen von 1968 (BStU-Archiv), sowie mündliche Überlieferungen von Fischern aus Lubmin (aufgezeichnet 2005).“